Auf die wilde Tour. Wandern auf dem Soonwaldsteig.
Es könnte bequemer sein. Vor allem dort, wo ich gerade sitze – auf meiner hauchdünnen Ultralight- Isomatte im taunassen Gras, mit unserem grünen Zelt im Rücken und dem Muskelkater der ersten drei Etappen in den Waden. Noch hängen einzelne Nebelschwaden zwischen den bewaldeten Hügelkuppen und dicke Wolken am Himmel, doch der Zeitpunkt, an dem sie aufbrechen und erste Sonnenstrahlen freigeben, scheint nicht weit entfernt.
Der Mann mit Bart liegt gemütlich eingekuschelt in seinem Daunenschlafsack. Dirk und ich leben in derselben WG. Ich weiß genau, was er am liebsten frühstückt, aber zusammen wandern waren wir noch nie. Der Soonwaldsteig zwischen dem Hauptkamm des Hunsrücks und dem Nahetal lockt uns wegen seiner zauberhaften Natur und Einfachheit. Fünf Tage wandern und 83 Kilometer Einsamkeit zwischen Kirn und Bingen ist genau das, was wir gesucht haben. Immerhin gehört der Soonwald zu den größten zusammenhängenden Wäldern Deutschlands. »Kein Mensch kennt diese Gegend, und genau das ist das Gute daran«, sagt Dirk, während er verschlafen aus unserem winzigen Zelt kriecht.
Dabei dauert es vom Rhein-Main-Gebiet mit dem Auto oder der Bahn nur eine Stunde bis hierher. Wir sind zum Wandern hergekommen, und zum Genießen: die Distanz zur Zivilisation, die Mischung aus Natur und tiefverwurzelten Traditionen – kurzum: Wildnis und Abgeschiedenheit mitten in Deutschland. Es ist kühl und angenehm still. Wir löffeln Müsli und müssen erst mal wach werden. Nur das Zwitschern der Amseln und unsere Kaugeräusche durchbrechen das Schweigen.
»Nehmt viel Verpflegung und Wasser mit«, riet man uns am Start des Steigs in Kirn. »Auf den Zeltplätzen gibt es nichts.« Und es stimmt: Alles beschränkt sich hier aufs Wesentliche. Unser Zelt steht gut gebettet auf einem von fünf Feldern aus Rindenmulch, etwas abseits versteckt sich eine hölzerne Komposttoilette. Es gibt ein paar Bänke und eine Feuerstelle. Das war’s. Keine Rezeption, kein Kiosk, keine Parkplätze – fast wie in Schweden. Doch die drei ausgewiesenen Trekkingcamps im Soonwald sind nicht wilder, als die Polizei erlaubt – wenn auch nah dran. Man muss die Plätze nur vor dem Start beim Fremdenverkehrsbüro buchen, erst dann gibt’s die GPS-Daten.
Die Trekkingcamps liegen oben in den Höhen des Soonwaldes, sie decken die mittleren Etappen des Steiges ab. Wir befinden uns gerade im Camp Ochsenbaumer Höhe, wo gestern der dritte Tag unserer Tour endete. Fast scheint es, als sei die Zeit stehen geblieben. Dirk und ich schlürfen frisch aufgebrühten Kaffee aus Edelstahlbechern und lassen die Stille auf uns wirken. »Das ist der schönste Ort der Welt«, behauptet Dirk. Vielleicht stimmt das. Für Augenblicke wie diesen haben wir uns auf den Weg gemacht, denn wir wollen lieber Bäume und Kühe sehen als Menschen – ganz nah an der Natur. Ich habe mich der Kuhmentalität angepasst und genieße jeden Moment dieses Morgens.
Noch vor drei Tagen ging es deutlich lebhafter zu: am Start unseres Weges in Kirn. Jedenfalls kommt mir das mittelalterliche 8000-Seelen-Städtchen aus meiner jetzigen Warte fast wie eine Metropole vor. Ich sehe es noch genau vor mir, wie Dirk und ich mit unseren Rucksäcken durch die bevölkerten Gassen des Ortes pilgern, uns noch ein Fußbad im eiskalten Wasser in der Nahe gönnen, ehe wir den Ort mit seinen Rebhängen links liegen lassen, ein prickelndes Gefühl von Aufbruch im Bauch […].
>> Der komplette Text erschien im Magazin outdoor 02/2016. Verlag: Motorpresse Stuttgart GmbH. Text: Katharina Baus, Fotos: Björn Hänssler.