Auf steilen Wegen: Eine Woche zum Mountainbiken auf Madeira
Madeira gilt aufgrund seines bergigen Terrains und ganzjährig milden Klimas als Traumziel für Mountainbiker. Ich war dort, um Touren in verschiedenen Levels zu testen.
Es ist der Gesang des Meeres, der sich an diesem Abend mit dem Rauschen des Windes vermischt. Durch die offenen Fenster dringt er in den runden Raum, in dem eine Handvoll Touristen und einige Einheimische tanzen – die einen mehr im Takt des Meeres, die anderen in jenem der Musik. An der kleinen Bar werden abwechselnd Poncha, ein madeirensischer Likör, und Bier über die Theke geschoben. Die Stimmung liegt irgendwo zwischen fröhlich und friedlich-ruhig, dieses eigentümliche Gemisch, was es nur im Ausland gibt. Irgendwann nehme ich meine Flipflops in die Hände und gehe ein paar Meter zum Meer. Die Wellen klatschen gegen schwarze Klippen, salzige Luft veredelt das Atmen. Madeira empfängt mich von seiner stürmischen Seite. Noch ist mir das Wetter egal. Ich bin heute Nachmittag angekommen, um in den folgenden sieben Tagen Mountainbike-Touren in verschiedenen Levels zu testen und nicht, um in der Sonne zu liegen.
„Heute wird Enduro gefahren“, gibt Albano, Bikeguide und Inhaber eines Touranbieters, am nächsten Morgen vor seiner Bikestation in Canico breit grinsend zu verstehen. Anders als an anderen Tagen blickt er heute nicht in fragende Gesichter. „Enduro“ bezeichnet eine Spielart des Mountainbikens in grobem Gelände, kurz: es wird spitzkurvig und steil.
Nuno, unser Guide, hat bereits vor dem Einsteigen in den Kleinbus seine schlammverschmierten Knie- und Ellbogenschoner angelegt und deutet auf einer ausgeblichenen Karte an, wo wir hinfahren. „Wir“, das sind Anna und Jörg, ein junges Paar aus Bonn, Nuno und ich.
Das Level der Tour besprach Albano am Vorabend mit uns. „Es besteht die Wahl zwischen gemütlichen Ausfahrten auf befestigten Wegen, knüppelharten Downhills und einem Haufen Touren mittleren Niveaus“, sagte er. Anna und Jörg sind wegen dem teils ruppigen Terrain hier. Aus gutem Grund wurden auf Madeira einige Werbevideos der großen Bikehersteller produziert.
Ich bin prinzipiell für alles zu haben und lasse mich frohen Mutes auf die Pläne von den beiden ein. Durch terrassierte, von Eukalyptusbäumen gesäumte Hänge zockeln wir in einem Kleinbus den Berg hinauf. Hinter uns schlenkert der Fahrradanhänger bedrohlich im Wind. An den Fensterscheiben rollen dicke Regentropfen hinab, doch die Sicht bleibt uns nicht komplett verwehrt. Madeiras Topografie zeigt sich steil. Hier, im Osten der Insel, nahe Santo António da Serra, nimmt die Landschaft den Anschein an, als sei die Zeit stehen geblieben. Als vor etwa 12 Millionen Jahren ein untermeerischer Vulkan mehrere tausend Meter Lavagestein aus dem Ozean hob, entstand ein grünes Paradies inmitten des Atlantiks. Neben einem landschaftlichen Formenschatz, der in Geographie-Büchern mehrere Kapitel füllt, glänzt Madeira, die „Blumeninsel“, mit ihrer artenreichen Fauna.
Schon im 16. Jahrhundert importierten portugiesische Seefahrer die ersten bis dahin fremden Pflanzen, weshalb der Mai aufgrund der reichen Blütenstände als beste Reisezeit zum Wandern gilt. Bereits bei der Ankunft am Flughafen wird einem Madeiras botanisches Markenzeichen, die Strelitzie, an allen Ecken zum Kauf angeboten. Ursprünglich in Südafrika beheimatet, fand die Unterart der Bananengewächse mit ihrer gefächerten Blüte in leuchtendem Orange und Blau ihren Weg auf die „Insel des ewigen Frühlings“, wie Madeira auch genannt wird, und auf die Kanaren.
Nuno kontrolliert ein zweites Mal die Scheibenbremsen an unseren vollgefederten Bikes, schließt seinen Helmgurt, klatscht in die Hände. „Vamos“, los geht’s, gibt er auf Portugiesisch zu verstehen. Ein handtuchbreiter Trail windet sich an der Hangkante einer steil abfallenden, vom Regen durchtränkten Wiese entlang. Windböen zerren an meiner Regenjacke. Von vorne klatscht mir der Regen ins Gesicht, von hinten Schlammspritzer.
„Es wäre gut, wenn man weiter als zehn Meter sehen könnte“, denke ich noch kurz, bevor es in einer steilen Rechtskurve den Hang hinunter geht und zum Denken keine Zeit bleibt. Enduro funktioniert am einfachsten, wenn man seinen Kopf ausschaltet, den Gesetzen der Schwerkraft folgt und wenig bis gar nicht bremst.
„Geschwindigkeit bringt Sicherheit“, sagt Anna, die das erste Viertel schon unten ist, als ich noch kurz darüber philosophiere, was jetzt eigentlich größer ist: die physische oder die psychische Herausforderung. Starkes Bremsen erhöht das Risiko, über den Lenker zu stürzen. Nach einem Dutzend Haarnadelkurven, in ca. dreißig Grad steilem Gelände, folgt ein flacher Abschnitt mit etwa kniehohen Bodenwellen. Nuno nimmt Fahrt auf und springt über die Hügel, als sei der Untergrund eine dicke Matte, die ihn nach einem Sturz auffängt.
Vor drei Jahren brach er sich bei einem Unfall beim Paragliden drei Rückenwirbel. Das Abenteuergen trägt er weiterhin in sich. Mit seinen Panzerwaden und Adern an den Unterarmen, so dick wie die Hydraulikschläuche eines Kleinbaggers, sieht man ihm an, dass er zumindest tagsüber eher wenig Zeit zwischen vier Wänden verbringt. Sein Metier sind die wilden Weiten der Natur. Wenn er nicht gerade Touristen wie uns Madeiras beste Trails vorführt, baumelt er an Fallschirmen hängend über seine Heimatinsel oder versorgt die Outdoorsport-Industrie mit frischem Bildmaterial – neben seinem Job als Guide arbeitet er als Fotograf.
Dicke Nebelschwaden kriechen langsam nahe Ribeiro Frio aus den immergrünen Tälern hinauf und geben Blicke auf die Gipfel des Pico Areiro und des Pico Ruivo frei. Madeiras höchste Berge kratzen knapp an der Zweitausendergrenze. Pyroklastisches Gestein formt verschachtelte Landzüge. So würde es einen zwischen all den Zacken, Graten und steilen Hangsenken in Grün und Grau nicht wundern, wenn Herr der Ringes Sauron dort oben den Meisterring schmiedete.
Als Nuno den Bus wieder in Canico an der Bikestation parkt, uns schlammüberzogen in die angenehmen Welten der sauberen Betten und Duschen entlässt und fragt, was ich die nächsten Tage fahren möchte, entscheide ich mich für die Sightseeing-Variante: Kreuz und quer auf dem Mountainbike über die Insel, viel Landschaft und am besten Wege, deren Beschaffenheit es zulässt, den Blick von ihnen abzuwenden. Nuno nickt: „Wir haben ja noch sechs Tage Zeit. Um aus dir eine Enduro-Meisterin zu machen.“ Ich fürchte, wir haben uns falsch verstanden.
Die Mountainbike-Reise nach Madeira ist bei BIKETEAM-Radreisen in verschiedenen Levels buchbar.