Felsenfest
»Kumm! Geh fort!«, sage ich zu meiner Freundin Paula, als sie mit der rechten Hand nach einem Felsvorsprung an den Geiersteinen schnappt, ihre rechte Ferse neben ihrem Ohr ablegt und souverän nach dem letzten Griff fasst. »Kumm, geh fort«, was wie ein Widerspruch in sich anmutet, bezeichnet in der Pfalz einen Ausruf des Erstaunens, im Sinne von »Das ist doch kaum zu glauben.« Äußerst elegant, ihre Klettereinlage, zumindest bevor sie mit ihrer Hand abrutscht und auf den Waldboden plumpst. Kühnes Freiklettern war in der Pfalz schon immer angesagt. Als Schülerin verbrachte ich so manches Wochenende kletternd an den steilen Wänden. Gute Zeiten, und nun bin ich mit Paula und Hannes zurückgekehrt, um die besten Wanderwege kennenzulernen. Neben dem Bären- und dem Napoleon-Steig stehen der Wasgauer Felsenweg und der Deutsch-Französische Burgenweg auf unserer Liste. Vier Tageswanderungen im südlichen Teil des Pfälzerwaldes also, und weil es hier so viele Felsen gibt, entdecken wir die Kinder in uns und klettern zwischendurch an ihnen herum.
Zum Wandern ist die Pfalz ein Paradies. Die sogenannte »Toskana Deutschlands« gehört zu Rheinland-Pfalz; seit 1958 ist der Pfälzerwald Naturpark; seit 2007 bildet das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands zusammen mit den angrenzenden Nordvogesen ein UNESCO Biosphärenreservat. Am östlichen Gebirgsrand, dem Haardt, geht die Waldlandschaft in eine sonnenverwöhnte, mediterrane Weinlandschaft über – der Rhein markiert die östliche Grenze der Region. Im Süden grenzt die Pfalz an Frankreich. Im Westen schließt sich das Saarland an und im Norden der Hunsrück und Rheinhessen. Ein kleines, feines Gebiet, dessen Einwohner nicht selten einen Dialekt sprechen, der so manches hochdeutsche Ohr zum Welken bringt. »Gut, dass der Boden so schön weich ist«, sagt Paula und wischt sich nach ihrer Klettereinlage den roten Sand vom Po. Hinter den Geiersteinen, einem Felsmassiv mit Steilwänden bis zu 50 Metern Höhe, führt uns der Bärensteig auf einem Trampelpfad durch wohlriechenden Kiefernwald. Heute Morgen starteten wir unsere erste Tour im kleinen Örtchen Bruchweiler-Bärenbach, dem Start- und Endpunkt des Bärensteigs. Knapp vierzehn Kilometer umfasst er, etwa zehn davon haben wir hinter uns, inklusive Mittagessen in der Drachenfelshütte des Pfälzer-Wald-Vereins. »Komm stoß mo uff mei Schatz, isch riech die Lewwerworscht so gern« – Hannes, bestens gelaunt, schlägt das Lied der Frankenthaler Musikgruppe »Die Anonyme Giddarischde« (Gitarristen) an, als wir über den Lourdessteig, den letzten Streckenabschnitt des Bärensteigs, laufen. Die Leberwurstbrote mit sauren Gurken, eine Pfälzer Spezialität und unser Mittagessen liegen uns noch schwer im Magen. Herzhaft ist die Pfälzer Kost, die laut Heiner Geißler am besten mit der gesunden Pfälzer Dosis von einem Liter Weißwein hinuntergespült wird. Schon die Römer schätzten das mediterrane Klima der Pfalz und brachten Weinreben hierher. Die bewaldeten Höhen bremsen heranziehende Tiefdruckgebiete aus und fangen den Regen ab. Richtung Rheinebene erwärmt sich die sinkende Luft und verwöhnt die Region mit milden Temperaturen […].
Der komplette Beitrag erschien im Magazin outdoor 12/2018, S. 28-35. Fotos: Hannes Kutza. Motorpresse Stuttgart GmbH.